Freud untermauert seine Erklärung des Unbehagens in der Kultur durch die Unterscheidung von zwei Grundtrieben, dem Eros und dem Todestrieb, womit er an die Triebtheorie anknüpft, die er 1920 in Jenseits des Lustprinzips vorgestellt hatte. Aber möglicherweise versagt uns nicht nur die Kultur, sondern auch etwas am Wesen der sexuellen Funktion selbst die volle Befriedigung. Einige behaupten, die Kultur sei selbst eine Quelle des Unglücks, und wir wären glücklicher, wenn wir die Kultur aufgeben würden. Eine Ursache für diera Kulturfeindschaft ist die Entdeckung, dass die Triebversagung, wie sie von der Kultur auferlegt wird, vom Menschen nicht ertragen wird und zur Neurose führt, wodurch das bisschen Glück, zu dem der Kulturmensch fähig ist, untergraben wird. Eine andere Ursache ist die Erfahrung, dass die Fortschritte der Wissenschaften und der Technik uns nicht glücklicher gemacht haben. All diese Möglichkeiten sind jedoch begrenzt; weder auf dem Weg der Lustgewinnung noch auf dem der Unlustvermeidung können wir alles, was wir begehren, erreichen.
Die organische Periodizität des Sexualvorgangs ist zwar erhalten geblieben, aber ihr Einfluß auf die psychische Sexualerregung hat sich eher ins Gegenteil verkehrt. Diera Veränderung hängt am ehesten zusammen mit dem Zurücktreten der Geruchsreize, durch welche der Menstruationsvorgang auf die männliche Psyche einwirkte. Deren Rolle wurde von Gesichtserregungen übernommen, die im Gegensatz zu den intermittierenden Geruchsreizen eine persistente Wirkung unterhalten konnten. Das Tabu der Menstruation entstammt dieser „organischen Verdrängung“ als Abwehr einer überwundenen Entwicklungsphase; alle anderen Motivierungen sind wahrscheinlich sekundärer Natur.
Es ist nicht leicht zu verstehen, wie man es möglich macht, einem Trieb die Befriedigung zu entziehen. Es ist gar nicht so ungefährlich; wenn man es nicht ökonomisch kompensiert, kann man sich auf ernste Störungen gefaßt machen. Von Seiten der Kultur ist die Tendenz zur Einschränkung des Sexuallebens nicht minder deutlich als die andere zur Ausdehnung des Kulturkreises.
Rezension Zu Sigmund Freuds «das
Ein anderer Punkt der übereinstimmung ist, daß das Kultur-Über-Ich ganz wie das des einzelnen strenge Idealforderungen aufstellt, deren Nichtbefolgung durch »Gewissensangst« gestraft wird. Ja, hier stellt sich der merkwürdige Fall her, daß die hierher gehörigen seelischen Vorgänge uns von der Seite der Masse vertrauter, dem Bewußtsein zugänglicher sind, als sie es beim Einzelmenschen werden können. Bei diesem machen sich nur die Aggressionen des Über-Ichs im Falle der Spannung als Vorwürfe überlaut vernehmbar, während die Forderungen selbst im Hintergrunde oft unbewußt bleiben. Bringt man sie zur bewußten Erkenntnis, so zeigt sich, daß sie mit den Vorschriften des jeweiligen Kultur-Über-Ichs zusammenfallen. An dieser Stelle sind sozusagen beide Vorgänge, der kulturelle Entwicklungsprozeß der Menge und der eigene des Individuums, regelmäßig miteinander verklebt.
In den veröffentlichten Schriften wird diese Möglichkeit in der Analyse des „Rattenmanns“ erwähnt (Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose, 1909) sowie in dem Aufsatz Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens . Umgekehrt ist die Kultur mit der Tendenz zur Einschränkung des Sexuallebens verbunden, vom Inzestverbot über das Verbot der Homosexualität und der Perversionen bis zur Monogamie. „Dabei benimmt sich die Kultur gegen die Sexualität wie ein Volksstamm oder eine Schicht der Bevölkerung, die eine andere ihrer Ausbeutung unterworfen hat. Die Angst vor dem Aufstand der Unterdrückten treibt zu strengen Vorsichtsmaßregeln.“ Durch all diese Verbote schneidet die Kultur viele vom Sexualgenuss ab „und wird so eine Quelle schwerer Ungerechtigkeit“ . Dies führt dazu, dass das Sexualleben des Kulturmenschen schwer geschädigt ist, „es macht mitunter den Eindruck einer in Rückbildung befindlichen Funktion“ . Auf den ersten Blick sehe es anders aus, denn die Grundlage der Kultur sei, neben der gemeinschaftlichen Arbeit und Arbeitsteilung, die Liebe und damit die Triebbefriedigung.
Unzweifelhaft; ein solches Vorkommnis ist weder auf seelischem noch auf anderen Gebieten befremdend. Für die Tierreihe halten wir an der Annahme fest, daß die höchstentwickelten Arten aus den niedrigsten 201 hervorgegangen sind. Das Geschlecht der großen Saurier ist ausgestorben und hat den Säugetieren Platz gemacht, aber ein richtiger Vertreter dieses Geschlechts, das Krokodil, lebt noch mit uns.
Eigentlich ist der Widerspruch dieses Satzes gegen die gegebene Genese des Gewissens nicht so groß, und wir sehen einen Weg, ihn weiter zu verringern. Greifen wir zum Zwecke einer leichteren Darstellung das Beispiel des Aggressionstriebes heraus und nehmen wir an, es handle sich in dieran Verhältnissen immer um Aggressionsverzicht. Die Wirkung des Triebverzichts auf das Gewissen geht dann so vor sich, daß jedes Stück Aggression, dessen Befriedigung wir unterlassen, vom Über-Ich übernommen wird und dessen Aggression steigert. Es stimmt dazu nicht recht, daß die ursprüngliche Aggression des Gewissens die fortgesetzte Strenge der äußeren Autorität ist, also mit Verzicht nichts zu tun hat.
Aufgabe 2
Ein möglichst hoher Lustgewinn aus der Umwelt setzt eine gute Anpassungsfähigkeit an diera voraus. Als letzten Ausweg nennt Freud noch die Flucht in die Neurose und die chronische Intoxikation. Die Befriedigung aus Illusionen, die dem realitätsunabhängigen Phantasieleben entstammen und in denen sich alle Wünsche erfüllen, ist eine Leidabwehr, zu der auch der Kunstgenuss als Lustquelle gehört, deren Wirkung aber sehr schwach ist. Zunächst befasst er sich mit der Frage nach dem Zweck des menschlichen Lebens, die ver- mutlich unsere menschliche Überhebung voraussetzt und die bisher keine befriedigende Antwort bis auf die der Religion erhalten hat. Auf dem Wege, uns mit dieser Möglichkeit zu beschäftigen, treffen wir auf eine Behauptung, die so erstaunlich ist, dass wir bei ihr verweilen wollen.
Die Aggression wird introjiziert, verinnerlicht, eigentlich aber dorthin zurückgeschickt, woher sie gekommen ist, also gegen das eigene Ich gewendet. Dort wird sie von einem Anteil des Ichs übernommen, das sich als Über-Ich dem übrigen entgegenstellt und nun als »Gewissen« gegen das Ich dieselbe strenge Aggressionsbereitschaft ausübt, die das Ich gerne an anderen, fremden Individuen befriedigt hätte. Die Spannung zwischen dem gestrengen Über-Ich und dem ihm unterworfenen Ich heißen wir Schuldbewußtsein; sie äußert sich als Strafbedürfnis. Die Kultur bewältigt also die gefährliche Aggressionslust des Individuums, indem sie es schwächt, entwaffnet und durch eine Instanz in seinem Inneren, wie durch eine Besatzung in der eroberten Stadt, überwachen läßt. Die Betrachtungsweise, die in den Erscheinungen der Kulturentwicklung die Rolle eines Über-Ichs verfolgen will, scheint mir noch andere Aufschlüsse zu versprechen.
Zweitens tragen die vielfälti- gen, unvermeidlichen Unlustempfindungen zur Loslösung des Ichs von einem Außen bei, die den Säugling zum Aufheben des Lustprinzips zwingen. Die Unmöglichkeit der Aufrecht- erhaltung eines reinen Lust-Ichs, von dem er alle Unlustquellen absondert, wird dem Säug- ling aufgrund von Erfahrungen deutlich. Quellen der Lust können äußere Objekte sein genau- so wie Quellen der Unlust sich unabtrennbar vom Ich erweisen. Er lernt, Innerliches und Äußerliches durch Einsetzen des Realitätsprinzips voneinander zu unterscheiden.
Ein Nutzen der Schönheit liegt nicht klar zu Tage, ihre kulturelle Notwendigkeit ist nicht einzusehen, und doch könnte man sie in der Kultur nicht vermissen. Die Wissenschaft der Ästhetik untersucht die Bedingungen, unter denen das Schöne empfunden wird; über Natur und Herkunft der Schönheit hat sie keine Aufklärung geben können; wie gebräuchlich, wird die Ergebnislosigkeit durch einen Aufwand an volltönenden, inhaltsarmen Worten verhüllt. Obenan unter dieran Phantasiebefriedigungen steht der Genuß an Werken der Kunst, der auch dem nicht selbst Schöpferischen durch die Vermittlung des Künstlers zugänglich gemacht wird. Das Herrschende sind dann die höheren, psychischen Instanzen, die sich dem Realitätsprinzip unterworfen haben.
Es ist überhaupt nicht durchführbar, alle Einrichtungen des Alls widerstreben ihm; man möchte sagen, die Absicht, daß der Mensch »glücklich« sei, ist im Plan der »Schöpfung« nicht enthalten. Was man im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der eher plötzlichen Befriedigung hoch aufgestauter Bedürfnisse und ist seiner Natur nach nur als episodisches Phänomen möglich. Jede Fortdauer einer vom Lustprinzip ersehnten Situation ergibt nur ein Gefühl von lauem Behagen; wir sind so eingerichtet, daß wir nur den Kontrast intensiv genießen können, den Zustand nur sehr wenig . Von drei Seiten droht das Leiden, vom eigenen Körper her, der, zu Verfall und Auflösung bestimmt, sogar Schmerz und Angst als Warnungssignale nicht entbehren kann, von der Außenwelt, die mit übermächtigen, unerbittlichen, zerstörenden Kräften gegen uns wüten kann, und endlich aus den Beziehungen zu anderen Menschen.