Der jüngere der beiden Räuber reißt ihm die Brieftasche aus der Hand, nimmt die Geldscheine heraus – 300 Dollar und ein paar hundert Pesos –, dann laufen die beiden fort. Vergeblich fordert Alexander ihn auf, die Hände von seinen Schuhen zu lassen. Als der Schuhputzer lauthals seinen Lohn verlangt, bleiben Passanten stehen. Mit dem Geld fliegt Alexander nach Mexiko, um die Orte aufzusuchen, an denen seine Großmutter Charlotte sich aufgehalten hatte. Nach der Ankunft vergisst er Marion anzurufen, mit der er in den letzten drei Jahren zusammenlebte. 1992 heiratet Melitta Klaus Greve, den Pfarrer in Großkrienitz, der sich nach der Wiedervereinigung in den Bundestag wählen ließ.
Ein wirklich sehr sehr lesenswertes Buch, das mir nicht nur schöne Lesestunden beschert, sondern mich auch wirklich nachdenklich und vor allem beeindruckt zurückgelassen hat. Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden.
1956 siedelte er mit den Eltern in die DDR über, 1959 reiste er mit Irina erneut zu seiner russischen Großmutter. Alexander wächst innerhalb der Familie behütet auf und erhält viele Anregungen, indem er von seiner Mutter die russische Sprache und Kultur vermittelt bekommt und von Oma Charlotte in die Geheimnisse der aztekischen Götterwelt eingeführt wird. Andererseits leidet er bereits als kleiner Junge unter dem repressiven Klima in der DDR-Gesellschaft, zum Beispiel, als er panische Angst bekommt, seine Mutter könne wegen einer vergessenen Milchmarke verhaftet werden. Während Irina sehr fürsorglich mit ihm umgeht, wird er von Vater Kurt, der die meiste Zeit mit Bücherschreiben verbringt, vernachlässigt, was er ihm noch als Erwachsener übel nimmt. 1979 verlässt Alexander seine junge Ehefrau Melitta und den zweijährigen Sohn Markus, bricht sein Geschichtsstudium ab und zieht sich in eine leerstehende Wohnung im verwahrlosten Altbauviertel Prenzlauer Berg zurück, um zu sich selbst zu finden. Er begründet dies seinem Vater gegenüber damit, dass er nicht sein Leben lang lügen müssen will, ist aber zu keinem tieferen Gespräch bereit, da er die systemkonforme Haltung seines Vaters verachtet.
Das Scheitern Des Sozialistischen Experiments
Der Titel bezieht sich eigentlich auf den Frühherbst, die Zeit der Kartoffelernte im Ural, an welchen sich die in die DDR gezogene russische Großmutter erinnert (vgl. S. Der Werdegang der DDR wird im Schicksal einer Familie gespiegelt, welche aus vier Generationen besteht und deren Geschichten sich über 50 Jahre erstrecken. Der Titel bezieht sich auf den Frühherbst, die Zeit der Kartoffelernte im Ural, an welche sich die ursprünglich russische Großmutter erinnert, bevor sie in die DDR zog.
Von ihrer Familie wird sie hingegen als vorwurfsvolle und streitsüchtige Person gesehen. Der Roman beginnt und endet im Jahre 2001 mit der Krebserkrankung und der darauf folgenden Mexikoreise der wichtigsten Reflektorfigur Alexander Umnitzer. Chronologisch betrachtet setzt jedoch die Handlung mit dem 2. Kapitel im Jahre 1952 ein, kurz bevor Alexanders Großmutter Charlotte und deren zweiter Ehemann Wilhelm nach zwölf Jahren mexikanischen Exils in die DDR übersiedeln. Die erzählte Zeit beginnt allerdings noch erheblicher früher, nämlich in der durch Rückwendungen erschlossenen Kindheit Charlottes und Alexanders zweiter Großmutter Nadjeshda Iwanowna, so dass der Roman eine Zeitspanne von einem ganzen Jahrhundert erzählerisch erfasst.
Aus diesem Anlass erinnert sich Kurt an seine Verhaftung 1940 in Moskau und an seinen damaligen Vernehmer, dessen „Schweinsgesicht“ (S. 180) dem des ZK-Genossen, der die Anklagerede gegen Rohde hielt, verdächtig ähnelte. Sein Brief an Werner, in dem er den Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vorsichtig in Frage gestellt hatte, hatte den Brüdern zehn Jahre Lagerhaft wegen Bildung einer konspirativen Vereinigung eingebracht und damit zu Werners Tod geführt. Kurt tröstet sich mit der Erkenntnis, es sei schon ein Fortschritt, wenn Kritiker nicht mehr in Lager gesteckt, sondern nur noch ihrer Ämter enthoben werden. Eugen Ruge erzählt diese Geschichte über die mit der Gesellschaftsordnung untergehenden Familie sehr ruhig und sachlich, aber nicht ohne Wortwitz. Dabei ließ er historische Ereignisse eher am Rande einfließen und achtete mehr auf deren Auswirkungen auf die Familie, deren Mitglieder sehr überzeugend charakterisiert wurden. Das Buch lies sich sehr flüssig lesen, die Sprache Eugen Ruges empfinde ich als ausgesprochen angenehm.
Familie Als Spiegel Gesellschaftlicher Prozesse
Erst ganz am Schluss, in einem kleinen Ort am Pazifik, findet er innere Ruhe, die es ihm ermöglicht, über sein Leben, seine Beziehung zu seinen Eltern und zu seinen Frauen, seine Krankheit und den Tod nachzudenken. Kurts Erleben ist sehr stark von den langen Jahren der Lagerhaft geprägt. Oft werden lebhafte Erinnerungen durch äußere Reize, wie bestimmte Geräusche oder Gerüche, ausgelöst.
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Wir lesen von all den Unzulänglichkeiten des täglichen Lebens, da wird überzähliger Kaviar gegen fehlende Dachfenster getauscht, die Suche nach einer akzeptablen Gaststätte gerät zur Odyssee in klirrender Kälte und endet in einer Imbissbude. Mit subtiler Ironie wird das Alltagsleben in jenem dem Untergang geweihten deutschen Staate geschildert, dessen Ideologie keinesfalls absurder war als die des Turbokapitalismus, wie wir ihn heute im wiedervereinigten Deutschland zelebrieren. Wolfgang Ruge (1917 – 2006), der Vater von Eugen Ruge, stammte aus einem kommunistischen Elternhaus. Nach Hitlers Machtergreifung flüchtete die Familie in die UdSSR, aber dort wurde Wolfgang Ruges Bruder Walter festgenommen, und den Vater lieferten die Russen an das Deutsche Reich aus. 1941 wurden Wolfgang Ruge und seine Ehefrau nach Kasachstan deportiert. Später kam Ruge als Zwangsarbeiter in ein Lager im Nordural, und seine Frau folgte ihm.
Selbst dann nicht, als die eigenen Söhne den stalinistischen Säuberungen in der Sowjetunion zum Opfer fallen. «In Zeiten des abnehmenden Lichts» ist ein Debütroman, aber sein Autor war wahrlich kein Anfänger. Eugen Ruge, von Haus aus Mathematiker, schrieb seit 1986 Hörspiele, Drehbücher und Theaterstücke, übersetzte aus dem Russischen, bis er 2011 gleich mit seinem ersten, stark autobiografisch geprägten Roman den Deutschen Buchpreis gewann.
Zwecklos, das ganze Personal hier aufzufächern, wie Angelika Overath es versucht. Eugen Ruge lässt einfach zu viele Figuren auftreten und wiederkehren, als dass es in eine Besprechung zu fassen wäre. Am Ende, wenn Patriarchen und Systeme dahingegangen sind, hat Overath nicht nur eine spannende Chronik der Wende gelesen, sondern auch einen melancholischen Text über Vergänglichkeit, der jegliche Ideologie relativiert. Von den Jahren des Exils bis ins Wendejahr 89 und darüber hinaus reicht diera wechselvolle Geschichte einer deutschen Familie. So entsteht ein weites Panorama, ein großer Deutschlandroman, der Geschichte als Familiengeschichte erlebbar macht.
Charlotte ist die Ehefrau Wilhelms und die Mutter von Kurt und Werner. Um 1900 geboren, wurde sie als Kind von ihrer Mutter oft gedemütigt, eingesperrt und misshandelt. Nicht selten bekam sie „die derbe Hand ihrer Mutter, die sie mit ganzer Wucht traf“ (S. 117), zu spüren.
Die Intensität, mit der sich diera Reminiszenzen auf sein alltägliches Wahrnehmen und Handeln auswirken, deutet auf eine lebenslange Traumatisierung hin. Als Kurt einmal einen längeren Nachhauseweg durch den Wald nimmt und ein raspelndes Ächzen hört, verhält er sich instinktiv, als befinde er sich in der Taiga und werde von wilden Tieren bedroht. Als er dann bemerkt, dass ein Liebespaar in einem geparkten Trabbi die Geräuschquelle ist, kommt Kurts Misstrauen gegenüber seiner Frau zum Vorschein – er vermutet anfangs, dass es Irina sei, die ihn in diesem Augenblick betrügt (vgl. S. 183). Kurt Umnitzer (geb. 1921) ist der ältere Sohn von Charlotte und deren erstem Ehemann Oberstudienrat Umnitzer.