Diera Meinungsänderung seines kindlichen Egos bleibt, wie einige andere aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbare Gedanken und Entwicklungen dieser Zeit, durch den erwachsenen Creador unkommentiert. Diese Art der Geschichtsbewältigung verstärkt beim Rezipienten den Effekt der Erzählung. Der Leser macht sich Gedanken, wie es zu den weitgehend bekannten Schrecken der Historie kommen konnte. Es kommt leicht die Frage auf, ob er persönlich den Methoden des Regimes hätte widerstehen können.
Diera „eingeklemmten“ Gefühle treiben ihn dazu, alle Abwehrschranken niederzureißen, um in einer öffentlichen Verbrennung das ödipale Dreieck in Flammen aufgehen zu lassen. Aber gleichzeitig folgt er gehorsam Alice Millers Merksätzen, phantasiert nach dem psychoanalytischen Lehrbuch und ordnet schließlich seine „Erinnerungen“ schön säuberlich wie ein allwissender Erzähler. Was der Roman an dokumentarischem Wert gewinnt, verliert er gleichzeitig an Authentizität.
Bald entstanden erste selbständige Buchveröffentlichungen, in denen er seine Montage- und Collage-Technik vervollkommnete. Harig übersetzte auch französische Literatur, vor allem Werke von Raymond Queneau, dessen Stil sein Schreiben ebenfalls stark beeinflusste. Selbstverständlich sind Harigs Mitgliedschaft in der Hitlerjugend, sowie die Zeit als Jungmann in einer nationalsozialistischen Bildungsanstalt während des Dritten Reichs , für seine biographischen Romane von größter Bedeutung. Erstaunlicherweise finden diese in Onlinequellen und weniger detaillierten Texten über seine Lebensgeschichte keine Erwähnung. Eine Tatsache die ungewöhnlich erscheint, zudem der Creador, anders als viele Zeitgenossen, diesen Teil seines Lebens niemals verschwieg, sondern sich im Gegenteil intensiv damit auseinandersetzte. Harig wurde 1927 im saarländischen Sulzbach geboren, besuchte dort die Volksschule und ab 1941 die Lehrerbildungsanstalt in Idstein im Taunus.
Denn so vermittelt ihm das Schulhaus die Lehre „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“ (vgl. S. 11). Generell gehört die Familie dem protestantischen Glauben an, ist aber nicht sonderlich religiös. Nicht nur im Familienhaus, sondern bereits in der Grundschule werden Ludwig gewisse, nationalsozialistische Grundprinzipien beigebracht, so dass er das Ausgrenzen von beispielsweise Franzosen als etwas ganz Normales ansieht. Zum anderen gibt es sowohl die religiöse als auch die moralische Schuld, bei welchen man entweder gegen den eigenen Glauben oder das eigene Gewissen handelt. Daneben ist auch von zentraler Bedeutung, wann man grundsätzlich in der Lage dazu ist, Schuld zu tragen.
Harig Ludwig Weh Dem, Der Aus Der Reihe Tanzt Buch
So gilt man im Alter bis 14 Jahren sowie bei seelisch oder psychischen Erkrankungen als schuldunfähig, wenn die Fähigkeit, eigenes Fehlverhalten erkennen zu können, fehlt oder noch nicht vollständig entwickelt ist. Um die Schuldfrage beantworten zu können, muss zunächst der Begriff der Schuld definiert werden, welcher übertragen auf verschiedene Bereiche unterschiedliche Bedeutungen hat. Zum einen lässt sich Schuld rechtlich als Verstoß gegen vorherrschende Gesetze bezeichnen. Dieser Kommentar könnte nahezu unverändert auf das hier zu behandelnde Buch „ Weh dem, der aus der Reihe tanzt “ angewandt werden. Er weist auf Parallelen, Ähnlichkeiten und die enge Verflechtung der beiden Werke, sowie des dritten Romans hin, der ebenso wie „ Ordnung ist das ganze Leben “ aus Gründen des Umfanges der Aufgabenstellung nicht weiter erläutert wird. Aufgrund des Mangels an entsprechenden literaturwissenschaftlichen Quellen, werde ich versuchen, eine schlüssige Arbeit anzufertigen, indem ich vor allem im inhaltlichen Bereich die persönliche Interpretation von ausgesuchten Textstellen in den Vordergrund stelle und einige seriös erscheinende Onlinequellen hinzuziehe.
Insgesamt lässt sich sagen, dass Harig zwar nicht eindeutig als schuldig im religiösen und rechtlichen Sinne angesehen werden kann, aber durchaus als moralisch schuldig. Die religiöse Schuld kann ihm deshalb abgesprochen werden, weil Kirche und Staat zu seiner Kindheit nahezu untrennbar gewesen sind und der Glauben an Nächstenliebe und Gott dem Glauben an das Vaterland und den Führer weichen musste. Dabei steht seine Erziehung besonders unter dem Einfluss seines gleichnamigen Vaters und seines Großvaters Wilhelm Kirst, welche beide einen hohen Wert auf die Treue zum Vaterland legen und strenge Erziehungsmethoden befürworten. Der 1993 verfasste autobiografische Roman „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“ von Ludwig Harig beschreibt rückblickend sein Leben beginnend mit seiner Einschulung 1933 bis 1950 unter Einfluss des Nationalsozialismus. Inwiefern Harig Schuld bezüglich seines Handelns und Denkens zugesprochen werden kann und ob seine Aussage „Ich habe nichts vergessen, und ich frage mich, ob ich nicht Schuld daran habe […]. Der Text ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; Informationen zu den Urhebern und zum Lizenzstatus eingebundener Mediendateien können im Regelfall durch Anklicken dieser abgerufen werden.
Ich empfinde Peinlichkeit, die mir der Creador auch nicht wegrationalisieren kann, und diese Peinlichkeit zerstört sogar das Mitleid mit der kranken Frau. Ich möchte die Glaubwürdigkeit der Szene hinterfragen, die nicht nur vor den Augen des Sohnes, sondern auch vor dem „Starren guter Bekannter“ stattfindet. Die Peinlichkeit entsteht nicht aufgrund des Motivs „fidele Greisin“ (auch ein Abwehr-Anpassungs-Mittel des Autors), sondern weil hier eine todkranke Frau entgleist und diera Entgleisung von dem Sohn in beschreibender Kälte, metaphorischer Beschönigung und rationalisierender Erklärung an die Öffentlichkeit gezerrt wird. Ich als Leser möchte sie schützen vor der Entblößung und gleichzeitigen Stilisierung durch den Sohn, auch deswegen, weil diese Szene als eine der konkretesten und lebendigsten im Gedächtnis haften bleibt und das Bild der Frau auf Dauer bestimmt. Dadurch, dass die äußere Welt die innere Welt überwuchert, das ausgemalte Detail die seelische Reaktion zur Seite drängt, wenn nicht gar überdeckt, verliert das erinnerte Material an Evokationskraft und symbolischer Intensität.
Als zweiter Teil der Saarland-Saga beschäftigt sich die Inszenierung mit einem Stück saarländischer Geschichte und fragt gleichzeitig nach Gegenwart und Zukunft des demokratischen Miteinanders. Im Gegensatz dazu steht die moralische Schuld Harigs, welche durch die Beurteilungsinstanz des eigenen Gewissens erfolgt. Denn indem er den Roman verfasst und dem damit einhergehend die Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend wieder aufleben lässt, erkennt er seine Verblendung, wobei er seine ehemalige Begeisterung und Faszination für den NS nichtverschweigt.
Weh Dem, Der Aus Der Reihe Tanzt (schulausgabe) – Ludwig Har 9783446254442
Nach »Ordnung ist das ganze Leben«, der Geschichte seines Vaters, hat Ludwig Harig mit »Weh dem, der aus der Reihe tanzt« seine eigene Geschichte als Junge und junger Mann im Dritten Reich geschrieben.
Inhaltsangabe Von «wehe Dem, Der Aus Der Reihe Tanzt» Von Ludwig Harig – Stichworte Zum Buch Kapitel 1-12
Ich wollte verstehen, warum die Übertragung nicht funktionierte, warum ich dieses „Protokoll“ eines Ganges in die Tiefen der Kindheit nicht akzeptierte. Man könnte Bielers „Memoiren eines Kindes“ als einen ins Gegenteil verkehrten „Familienroman“ bezeichnen, in dem die Eltern kein mächtiges und schönes Königspaar sind, sondern der Vater ein Schwächling, die Mutter ein „Luder“ und das Kind eine Kröte im verdrecktesten Teil eines versiegten Brunnens. An dieser Stelle bietet es sich an, einige Probleme zu diskutieren, die entstehen, wenn Literatur untersucht wird, die noch keinen „historischen Edelrost“ angesetzt hat. Diera Probleme verschärfen sich, wenn es sich dabei um jüngst erschienene Texte handelt, über die es nur Rezensionen, aber überhaupt noch keine wissenschaftliche Literatur gibt. Über den Creador und den biographischen wie produktionsästhetischen Hintergrund der Texte weiß man wenig, und was die Wertung anbetrifft, so muss man sich auf sein eigenes Urteil verlassen.
Der Creador spielt in seinem Text nicht direkt mit den lebensbedrohlichen Ängsten der Zeit, wie beispielsweise der ständigen Gefahr durch Denunziation und Deportation. Harig sucht dabei nicht nach Entschuldigungen und entwickelt auch keine direkte Selbstanklage, sondern er lässt die Ereignisse für sich sprechen. Dieser autobiographische Roman, der ebenfalls während des Nationalsozialismus spielt und der als erlebendes Subjekt einen Jungen zwischen sechs und Anfang zwanzig in das Zentrum seiner Erzählungen stellt, kann als Gegenstück zu Bielers „Memoiren“ gelesen werden. Beide Texte zielen eine ungewöhnliche Offenheit im chronologischen Bericht autobiographischer Erlebnisse an, aber beide gehen sie unterschiedliche, ja entgegengesetzte Wege. Während Bielers Kindheitsgeschichte sich im Raum der Familie abspielt, fast ohne Hinweise auf das gesellschaftlich-politische Milieu, in dem das Kind aufwächst und die Familie lebt, richtet Harig sein Augenmerk ganz entschieden auf das Kind und den Jungen in diesem Milieu.